Barfuß durchs Handwerk

Wie ein Orthopädieschuhmachermeister die Schuhe wegließ und neue Wege ging

Am 1. Juli 2025 feiert die Schuh- und Orthopädietechnik Fritz Heß in Riesa ihr 25-jähriges Bestehen. Ein Vierteljahrhundert im Dienste gesunder Füße – und ein guter Anlass, mit Orthopädieschuhmachermeister Gerit Heß über seinen ungewöhnlichen Weg im Handwerk zu sprechen.
Schon während der Begrüßung staune ich nicht schlecht: Der Schuhmachermeister kommt barfuß daher! Wie passt das denn zusammen?

Ich frage: Wo sind denn Deine Schuhe?
Gerit Heß lacht: Zu Hause. Fein säuberlich im Schuhregal.
Ich: Wie? Du läufst immer barfuß?
Er: Ja, seit Mai 2019.
Ich: Auch im Winter?
Er: Natürlich auch im Winter – selbst im Schnee.

Wie bist Du dazu gekommen?
Begonnen hat alles mit einem Experiment. Ich bin im Sommer schon immer gerne barfuß gegangen, hatte aber schnell kalte Füße. Durch eine Fortbildung, in der alle Übungen barfuß gemacht werden sollten, wurde ich auf die wärmende Wirkung von Stulpen aufmerksam. Danach wollte ich wissen, was möglich ist. Ein Buch von Sabrina Fox – „Auf freiem Fuß“ – inspirierte mich, das Barfußlaufen auch im Winter zu wagen. Danach wurde es immer einfacher.

Ist das nicht ungewöhnlich in Deinem Beruf?
Durchaus. Aber nur durch meinen Beruf bin ich überhaupt auf diesen Weg gekommen.

Wie meinst Du das?
Ich hatte selbst Fuß- und Knieschmerzen und trug schon in der Ausbildung Einlagen und Schuhzurichtungen. Später kamen Rückenschmerzen und sogar ein Bandscheibenvorfall. Erst durch die intensive Auseinandersetzung mit sensomotorischen Einlagen und ganzheitlichen Ansätzen – also den Zusammenhängen zwischen Fußstellung, Körperhaltung, Zähnen und Augen – konnte ich meinen Körper wieder verstehen. Heute gehe ich schmerzfrei barfuß – und das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis meines bewussten Weges.

Wie reagieren Kunden darauf, dass Du barfuß läufst? Irritiert das nicht manchmal?
Es polarisiert. Manche denken: „Wie kann ein Orthopädieschuhmacher keine Schuhe tragen?“ Andere sind erstaunt. Es ist mein persönlicher Weg, keine Empfehlung.

Könnte denn jeder barfuß laufen?
Nein, dieser Weg ist nicht für jeden geeignet. In unseren Laden kommen hauptsächlich Menschen mit Druckstellen, Fußfehlhaltungen und Schmerzen. Die möchten und brauchen in erster Linie eine Entlastung. Für Diabetiker mit Neuropathie oder gar offenen Füßen oder nach Operationen ist ein Schutz durch Schuhwerk unumgänglich. Dann braucht es manchmal eine maßgefertigte Schuhversorgung, besondere Druckentlastung oder spezielle Materialien. Jeder Fuß ist anders – und jede Versorgung auch. Unsere Hilfsmittel sind da, um Menschen zu unterstützen. Manche brauchen sie kurzzeitig, andere dauerhaft.

„Das Ziel ist nicht die Einlage – das Ziel ist der Mensch“

Sind Barfußschuhe eine Alternative?
Auch hier gibt es kein Ja oder Nein. Ich empfehle, es selbst auszuprobieren. Die Einen berichten von Verbesserungen alleine durch das Tragen. Andere kommen damit nicht zurecht.

Können orthopädische Hilfsmittel wirklich langfristig helfen?
Ja, vor allem wenn sie individuell angepasst sind – nicht nur technisch, sondern auch funktionell. Eine sensomotorische Einlage zum Beispiel gibt gezielte Reize an die Muskulatur, damit der Körper wieder aktiv stabilisiert. In Kombination mit Bewegung und bewusster Wahrnehmung kann das viel verändern.

Hilft Deine Arbeit auch bei gängigen Problemen wie Fersensporn, Hallux valgus oder Knieschmerzen?
Genau da setzen wir an. Diese Beschwerden entstehen oft durch Fehl- oder Überlastung. Eine gezielte orthopädieschuhtechnische Versorgung kann Kräfte umlenken, Bewegungsabläufe verbessern und Schmerzen deutlich lindern. Wichtig ist: Wir schauen immer auf das Gesamtsystem – vom Fuß bis zur Körperhaltung.

Zurück zum Jubiläum. Wohin entwickelt sich Dein Beruf – und Dein Betrieb?
Die Orthopädieschuhtechnik wird immer wichtiger, weil Menschen länger aktiv bleiben wollen – trotz Verschleiß, Fehlstellungen oder chronischer Beschwerden. Wir verbinden traditionelles Handwerk mit modernem Wissen über Bewegungsabläufe, Sensorik und Materialtechnik. Mein Team und ich schaffen Lösungen, die nicht nur stützen, sondern befähigen.



Fazit:
Gerit Heß ist ein Handwerker, der mitdenkt, zuhört und vor allem hinschaut. 25 Jahre Orthopädieschuhtechnik in Riesa sind für ihn kein Grund zum Stillstand – sondern ein Fundament, auf dem sich Zukunft bauen lässt. Mit Herz, Verstand – und manchmal auch ganz ohne Schuhe